Der Stadtpräsident trat Ende August ab. Lobhudeleien sind ihm garantiert. Der überschätzte Stadtpräsident von Luzern wurde von den Parteien kritiklos bis zu ihrer eigenen Unkenntlichkeit getragen, leider auch von der SP und den Grünen.
Vor 16 Jahren war Urs W. Studer die richtige Wahl, die den bürgerlichen Block sprengte. Als verstossener FDP-ler - damals noch liberale Partei - war er die taktische richtige Antwort zum konservativen Cousin Peter Studer des Gewerbeflügels. SP, Grüne und Sozialliberale wählten ihn aus einer Mischung von Mitleid, Taktik, Schadenfreude und als kleineres Übel zur Arroganz der FDP. Die Grünen setzten ihn auf ihre Liste ohne Gegenrecht zur Unterstützung der eigenen Kandidatin. Vier Jahre später wirkte der Aufbruch nach und das „Päckli“ mit Studer, Stämmer und Meier reüssierte. Bei den Wahlen 1996 und 2000 war Studer noch ein Symbol für den Aufbruch und die Fortführung des Kulturkompromisses von seinem Vorgänger Franz Kurzmeyer, doch das änderte sich rapid. Die Linke reagierte wie paralysiert und war unfähig, den neoliberalen Kurs Urs W. Studers zu hinterfragen und zu kritisieren. Wer ihn kritisierte, wurde einfach als nicht teamfähig beurteilt.
Studers entscheidende Stimme
Stadtratsbeschlüsse benötigen mindestens drei Stimmen. Das Fünfergremium ist bestückt mit zwei Linken und zwei Rechten. Die fünfte Stimme, also Studers Stimme, ist oft entscheidend für ein Mehrheitsverhältnis von 3:2. Manchmal wählte er sozial, manchmal knallharte Wirtschaftspolitik. Die folgenden Beispiele sprechen für sich.
Finanzpolitik: 80 Millionen Mindereinnahmen
Warum nimmt der Stadtrat 2007 eine Steuersenkungsmotion trotz absehbarer Verschuldung entgegen? Selbst den Antrag auf eine moderatere Senkung lehnte der Stadtrat ab. Die Steuersenkung fand nach der Fusionsabstimmung und vor der eigentlichen Fusion mit Littau statt, in einer Zeit, als nicht einmal sicher war, ob Luzern die generelle Steuersenkung Littaus und die versprochenen Leistungsanpassungen meistern kann. Die letzte Steuersenkung ergab ohne die generelle Senkung Littaus einen Einnahmeausfall von 16 Mio. jährlich. Kumuliert betragen sie 2012 80 Millionen.
Bildungspolitik: Keine Ahnung zu den Klassengrössen
Drei Massnahmen im Sparpaket 2011 erhöhten die Klassenbestände auf allen Stufen. Die Erhöhung der Schülerzahl ist gesetzlich eigentlich unmöglich und nur durch Bewilligungen zu erhalten. Die Stadt Luzern wies höhere Klassenbestände als der kantonale Durchschnitt auf und hatte 2009/2010 sechs Klassen von neun kantonalen über dem gesetzlichen Maximum. Wie sollen die Klassenbestände in dieser Situation weiter erhöht werden? Darauf angesprochen, erwiderte Studer, das kann nicht sein, das müsste er ja wissen. Später bestätigte er die Zahlen und Klassen. Studer meinte, er habe dies nicht gewusst, weil die Klassenbestände über dem kantonalen Maximum erst noch bewilligt werden müssen. Es war November und das Schuljahr war schon vor über drei Monaten gestartet. Entweder war dies eine Zwecklüge, oder die Stadt hat tatsächlich ohne Bewilligung die Klassen geführt. Die Bewilligung im Nachhinein einzuholen ist wie ein Bauprojekt, das erst nach dem Baubeginn bewilligt wird. Übrigens wurden alle drei Sparmassnahmen durch den Stadtrat weiterhin verteidigt und im Rat angenommen.
Verkehrspolitik1: Strassenlastige Grossprojekte
Mit über 2 Milliarden wollten die Bürgerlichen eine Parallelautobahn zum Sonnenberg und den Südzubringer vorantreiben. Stadtpräsident Studer war stets dabei. Er preist im Faltblatt „Luzern macht mobil, das Agglomerationsprogramm in der Stadt Luzern 2005-2020“ als ausgewogen an, obwohl der Löwenanteil für neue Strassen reserviert ist. Alle fünf Stadträte vertreten diese Haltung mit einem eigenen Bild und einem zustimmenden Zitat. Jedem Linken und Grünen müsste es eigentlich den Magen umkehren, doch die Proteste blieben aus. Die Grüne Fraktion kritisierte Ruedi Meier kurz, das war’s. Mindestens sechs Studien hat die Stadt zum sinnlosen Südzubringer erarbeiten lassen. Für eine Planungsstudie in ein schienengebundenes Verkehrsmittel nach Kriens investierte der Stadtrat trotz gegenteiligem Versprechen nichts. Damit wurden die Grünen zum Rückzug ihrer Trambahninitiative gedrängt und diese glaubten den Versprechungen. An der VV legte ich meine Zweifel als einziger Teilnehmer dar und opponierte. Passiert ist danach wirklich nichts! Wetten, Studer war immer auf der Seite von Müller, Bieder – und Stämmer, Meier opponierten nicht. Ihre Kollegialität ging soweit, dass sie entweder selbst von den Strassenprojekten überzeugt waren oder sie verleugneten sich und legten die Kollegialität bis zur eigenen Unkenntlichkeit aus.
Verkehrspolitik2: Beeinflussung mit Steuergeldern
Die Neugestaltung des Seetalplatzes kostet 190 Mio. Der Stadtrat unterstütze als Stadtrat die kantonale Abstimmungsvorlage und diverse Mitglieder auch namentlich mit ihrer Funktion. Es gab eine 66 Mio. günstigere Variante, die gemäss Zweckmässigkeitsbericht sehr gut abschnitt. Der Stadtrat sprach sich dennoch für die teurere Variante aus. Stossend ist an der ganzen Sache nicht die pro/kontra -Positionierung, sondern die Beeinflussung mit Steuergeldern und die fehlende Abstützung im Grossen Stadtrat, dem übergeordneten Organ. Dieser diskutierte einen Entwicklungsbericht, jedoch nicht die Vorlage. Zudem erhält der Gemeindeverband LuzernPlus jährlich einen Gemeindebeitrag der Stadt von über 230′000 Franken. Dieser Verband war der eigentliche Lobbyist für die Vorlage mit Propagandacontainer und aktiven Angestellten, die für die Vorlage warben. Studer spielte da eine entscheidende Rolle, die Stadtentwicklung betrachtete er immer als Chefsache.
Politik für reiche Rohstoffhändler
Urs W. Studer stellte für den Rohstoffhändler Marc Rich 2001 ein Begnadigungsgesuch bei der US-amerikanischen Begnadigungsbehörde. Das Magazin (Tagesanzeiger) Nr. 32/2010 schrieb. “siebzehn Jahre lang stand Marc Rich auf der Liste der meistgesuchten Verbrecher des FBI.” Rich soll gemäss einer Meldung der Nachrichtenagentur “Associated Press” vom 4. Februar 2001, 14.37 Uhr, “in der ersten Hälfte der 80er Jahre in den USA in Abwesenheit wegen Steuerhinterziehung sowie weiterer Delikte zu 325 Jahren Gefängnis verurteilt” worden sein. Warum Studer für Marc Rich ein Begnadigungsgesuch auf Briefpapier des Stadtpräsidenten von Luzern schrieb, blieb unklar. Das kulturelle und gemeinnützige Engagement Marc Richs in der Region Luzern kann es trotz dem Hinweis in der Interpellationsantwort Nr. 73, 2000/2004 allein nicht sein. Das wäre ein moderner Ablasshandel – Spende hier und kaufe dich frei für Vergehen andernorts! Vielleicht ist der Sachverhalt komplexer, Studer hilft Rich und Rich hilft dem Kanton und der Kanton und die Stadt helfen wieder Rich. Eigenartigerweise verlegt die Trafigura Holding ihren Sitz nach Luzern und Luzern senkt 2005 die Holdingsteuern um das 50-fache von 0,5% auf 0,01% (vgl. Neue LZ vom 27.9.05). Zufall oder nicht? Beweise gibt es nicht, jedoch sind Verbindungen von Rich zu Trafigura vorhanden und die Chronologie passt. Claude Dauphin und Eric de Turckheim gründeten Trafigura. Zuvor arbeiteten sie bei Marc Rich und wurden als Marc Richboys bezeichnet. Trafigura und Marc Rich haben eine identische Geschäftsphilosophie. Sie umgehen internationales Recht und handeln trotz internationalen Sanktionen mit damaligen Unrechtsstaaten (Iran, Irak, Südafrika). Nach der Begnadigung wurde der Standort Luzern zum Hauptsitz der Trafigura Holding. Auf diese Zusammenhänge bin ich erst mit der Recherche zu meiner Interpellation Nr. 215 2004/2009 zum Giftmüllskandal in Abidjan gestossen.
Alle Parteien und Medien waren unfähig Studers Politik angemessen zu diskutieren, leider auch die SP und die Grünen. Diese fehlende Diskussionskultur rächt sich. Mehr Gesprächs-, Kritik- und Streitkultur statt blossen Personenkult! Luzern versinkt sonst im bürgerlichen Sumpf.
Bild: Herbert Fischer www.lu-wahlen.ch